Interview: So findest du einen Job der glücklich macht
Dieses Gespräch gehört zu einer besonderen Reihe an Interviews mit erfolgreichen und international-gesinnten Fachleuten sowie Karriereprofis, die sich auf die EF Career Beyond Borders Seminare beziehen, die in London, Singapur, New York und San Francisco in den Jahren 2015/16 stattfanden bzw. stattfinden.
Escape the City hilft Menschen dabei, Karrieren bzw. Unternehmen zu ihren eigenen Bedingungen zu starten – indem sie ihnen Strategien und Mittel zeigen, um aus dem beruflichen Hamsterrad auszubrechen, in dem sich viele Leute gefangen fühlen. Mit Hilfe von Gemeinschaften und Drei-Monats-Programmen, sogenannten Tribes (“Stämme”), bringt Escape Menschen zusammen und verhilft diesen zu grossen beruflichen Veränderungen. Ausserdem überprüfen sie Geschäftsideen und bieten Unterstützung durch die Gründung von Start-ups. Matt Trinetti arbeitet an den Lebensläufen für die Tribes, vor allem für den Escape Tribe, welcher Menschen dabei hilft, aus ihren momentanen Jobs auszubrechen und erfüllendere Arbeit zu finden.
Matt präsentierte Escape the City beim Careers Beyond Borders-Seminar in London und wir sprachen mit ihm über berufliche Laufbahnen, internationale Erfahrungen und wie Reisen das Leben verändern können.
MATT, DU BIST AUS DEN USA UND NUN ARBEITEST DU IN LONDON? WIE IST ES DAZU GEKOMMEN?
Ich habe Ingenieurswissenschaften in den USA studiert und nach dem Abschluss begann ich als Berater für IBM in Chicago zu arbeiten, da dies ein guter Job war und sich wie der nächste logische Schritt anfühlte. Viele meiner Kommilitonen nahmen eine Beratertätigkeit an und stiegen in die Geschäftswelt ein. Nach fünf Jahren habe ich festgestellt, dass ich diesen Weg nicht mehr verfolgen möchte. Ich dachte, es gibt andere Arbeit, die ich tun könnte, hatte aber keine Ahnung, wo ich anfangen sollte. Ich habe mich nebenbei nach anderen Möglichkeiten umgesehen, an Wochenenden oder abends. Doch irgendwann habe ich gemerkt, dass ich eine Auszeit brauchte und so habe ich ein Sabbatical von meinem Job bei IBM eingelegt. Ich wollte mir selbst erlauben, all die für mich interessanten Dinge tiefergehend zu ergründen – eine Reise, die sieben Monate dauerte. Ich bin durch Nord- und Osteuropa gereist, habe einen Blog betrieben und mit Fotografieren angefangen. Auf dieser Reise bin ich durch London gekommen; vor allem um die Leute zu treffen, die Escape the City gegründet hatten, eine Webseite, auf der ich mich zuvor registriert hatte. Durch dieses Treffen ist eine Freundschaft entstanden und im Jahre 2014 wollten sie eine Schule eröffnen, um mehr bildungsrelevante Dinge anzubieten. Sie fragten, ob ich rüberkommen und ihnen dabei helfen möchte – der Rest ist Geschichte.
WAS SIND DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN, WENN MENSCHEN AUS IHREM TROTT AUSBRECHEN WOLLEN?
Die eigene berufliche Laufbahn komplett zu verändern ist sehr komplex, da du eigentlich deine ganze Identität damit hinterfragst – inklusive allem, was dir etwas bedeutet und mit wem du deine Zeit verbringst. Ich würde wohl sagen, dass die allumfassende Schwierigkeit ist, dass die Leute häufig denken, dass es einfacher wird als es in Wahrheit ist. Die meisten Leute denken, dass eine berufliche Veränderung einfach bedeutet, sich ein Ziel zu setzen und einen 10-Punkte-Plan aufzustellen, um dieses zu erreichen. Aber das Ganze ist noch viel komplizierter. Es beinhaltet viel Experimentieren und eine längere Reise, als die Leute eigentlich möchten. Eine andere, wirklich herausfordernde Sache ist die, dass es sehr schwer alleine zu schaffen ist. Hier kommt Escape ins Spiel. Wir bieten Leuten einen Platz, um sich zusammenzufinden und bringen sie zusammen, da es eine sehr einsame Reise ist, wenn man denkt, dass es allen anderen gut geht und all deine Kollegen ihre Arbeit mögen, während du dich im Unreinen mit dir fühlst und unzufrieden bist.
HAST DU EINE LIEBSTE ERFOLGSGESCHICHTE?
Wir hören jeden Tag unglaubliche Geschichten, also habe ich keinen Favoriten. Aber ich habe gerade von einer jungen Frau erfahren, welche Teil eines Tribes im September war. Sie hat sich auf einen Job bei einer Firma beworben, für die sie wirklich arbeiten wollte, hatte die Position aber zuerst nicht bekommen. Sie entschied sich dazu, das Unternehmen in Teilzeit und umsonst bei einem Projekt zu unterstützen, um ihren Nutzen und ihr Potenzial unter Beweis zu stellen. Das Unternehmen fand es so toll mit ihr zusammenzuarbeiten, dass sie ihr später einen Job angeboten haben. Wenn sie einfach nach der Absage aufgegeben hätte, wäre sie nie bei dem Unternehmen gelandet, für das sie wirklich arbeiten wollte. Ich liebe solche Geschichten: Ich denke, es spielt eine Rolle, wie du mit Herausforderungen und Absagen umgehst, wodurch du dich von deinen Mitbewerbern abhebst.
DU BIST VIEL GEREIST. WIE HAT DAS REISEN DURCH DIE WELT DEIN LEBEN VERÄNDERT?
Ich finde die Idee toll, Reisen als Mittel zum persönlichen Wachstum und zur Selbsterkundung zu nutzen. Als ich neue Orte aufgesucht und unterschiedliche Menschen getroffen habe, habe ich bemerkt, wie die Leute auf mich reagiert haben aufgrund wie ich ihnen begegnet bin oder wie ich mich verhalten habe – die Welt wurde so zu einem Spiegel. Ich habe viel durch diese Interaktionen über mich selbst herausgefunden, aber auch durch das Alleinsein. Ich habe versucht, so viele Einwohner wie möglich zu treffen und mich unter die Leute an meinen Reisezielen zu mischen, was zu einer Menge an Freundschaften mit Menschen aus der ganzen Welt geführt hat. Ich habe so viel über die Welt gelernt, was mir wirklich die Augen geöffnet und meine Ansichten und Überzeugungen herausfordert hat: Durch das Treffen von unterschiedlichen Menschen haben diese Erfahrungen mich gelehrt, dass es nicht nur eine Möglichkeit gibt, die Welt zu betrachten – es gab plötzlich kein Schwarz und Weiss oder Richtig und Falsch mehr, sondern so viel dazwischen. Diese Erfahrungen schienen damals nicht viel zu sein, aber sie haben zu einer grossen Veränderung in meinem Leben geführt.
WELCHEN RATSCHLAG WÜRDEST DU JUNGEN LEUTEN GEBEN, DIE NACH EINEM JOB SUCHEN?
Einer der grössten Karrieremythen ist es, dass du von der Universität abgehst, eine Richtung bzw. Job wählst und dann war es das und du verfolgst diesen Weg bis zum Ende. Basierend auf allem, was ich selbst erlebt und durch die Tribes bei Escape gelernt habe, ist die Realität selten so und berufliche Laufbahnen viel komplexer. Was dir wichtig ist, wird sich ändern, und auch die Welt wandelt sich stets – heutzutage gibt es Jobs, welche vor ein paar Jahren noch nicht existiert haben. Falls du nicht weisst, was du werden willst, wenn du erwachsen bist, mach dich nicht selbst deswegen fertig. Nur sehr wenige Leute wissen, was sie werden wollen, wenn sie erwachsen sind. Nutze die Zeit in deinem Leben, wenn du deinen Abschluss machst oder nach einem Beruf Ausschau hältst, um zu experimentieren und mehr über dich selbst zu erfahren, ebenso was du der Welt bieten kannst und wie du das, was du bist, in Übereinstimmung mit dem, was du tust, bringen kannst. Es geht also ums Geduld haben und verstehen zu lernen, dass unsicher sein okay ist – das ist alles Teil der Reise.
WAS SIND DIE MERKMALE EINER ERFÜLLENDEN KARRIERE?
Das ist eine Kombination an Dingen: Du musst an das glauben, was du tust, und es muss dir wichtig sein. Die Arbeit, die du verrichtest, muss einen Zweck erfüllen und einen positiven Einfluss haben – nicht unbedingt auf die ganze Welt. Was du tust, könnte auch eine einzige Person beeinflussen. Du solltest nicht dein Leben für deinen Job aufopfern. Ich weiss, dass Leute viel über Work-Life-Balance reden, aber ich denke, es geht mehr um eine Arbeit, die dich und deine Art zu leben nicht verletzt. Ich denke, dass Autonomie und Freiheit auch sehr wichtig sind, da Arbeit nicht länger ein Ort ist, sondern etwas, was du tust: Wenn du meinst, dass du irgendwo für eine bestimmte Zeit lang anwesend sein musst, führt dies normalerweise zu Unzufriedenheit. Zu guter Letzt ist es auch wichtig, dass du für die Arbeit kompensiert wirst, damit du keine Probleme hast, über die Runden zu kommen, und dir keine Sorgen über das Bezahlen von Lebensmitteln und Rechnungen machen musst.
WIE WICHTIG IST DAS VORWEISEN INTERNATIONALER ERFAHRUNGEN IN DER HEUTIGEN ARBEITSWELT?
Ich denke, es ist sehr wichtig, internationale Erfahrungen zu haben. Auch wenn wir mehr verknüpft miteinander sind als jemals zuvor, gibt es keinen Ersatz für physische Anwesenheit. Das bringt mich auf Ansichten zurück: Wenn du einen Ort aufsuchst, an dem du noch nie warst, triffst du auf Leute, die anders denken und du beginnst, die Welt zu überdenken und bemerkst, dass es viele Graustufen gibt. Diese Veränderung deiner Ansichten und dadurch, dass die unterschiedlichen Denkmodelle, Überzeugungen und Kulturen so wichtig sind, erhältst du eine neue Wertschätzung für deine Mitmenschen – was unumgänglich ist, da wir zunehmend mit Leuten aus der ganzen Welt in unserem privaten und beruflichen Leben zu tun haben.