Welcome to New Richmond, Ohio
Nach einem emotionalen Abschied von meiner Familie machte ich mich zusammen mit einer anderen Austauschschülerin auf den Weg nach New York City. Beim Umsteigen in Berlin verpassten wir beinahe unseren Anschlussflug, weil wir auf die Toilette gingen, um nicht im Flugzeug gehen zu müssen.
Die ersten vier Tage verbrachte ich mit anderen Austauschschülern aus der ganzen Welt auf einem College Campus in New York City. Anfänglich fühlte ich mich dort doch sehr alleine, aber schon bald fand ich Freunde, mit denen ich mich austauschen konnte. Wir waren alle voller Vorfreude, Erwartungen aber auch Angst vor dem Ungewissen.
Nach vier schönen, aber auch sehr anstrengenden Tagen sass ich endlich im Flugzeug nach Cincinnati, Ohio, wo ich zum ersten Mal meine Gastfamilie treffen sollte. Als ich schliesslich so ganz alleine im Flugzeug sass und über alles nachdachte, wurde mir zum ersten mal richtig bewusst, dass ich in weniger als zwei Stunden, meine mir fast unbekannte Gastfamilie treffen werde und ich meine eigene Familie für ein ganzes Jahr nicht mehr sehen werde. Was habe ich mir nur dabei gedacht?
Die Frau, die neben mir sass, merkte, dass ich sehr nervös war und fing an mit mir zu reden. Sie erzählte mir von Ihrer Familie und allgemein vom Leben in Cincinnati. Sie bewunderte meinen Mut, mit 17 Jahren ein Austauschjahr zu machen. Es beruhigte mich, mit ihr zu reden. Sie bot mir sogar an, mich zu begleiten, bis ich meine Gastfamilie am Flughafen gefunden hätte. Dieses Angebot nahm ich natürlich dankbar an.
Ich hatte meine Gastfamilie nicht so früh am Flughafen erwartet, und so war ich doch etwas überrascht, als sie plötzlich vor mir stand. Ich wusste gar nicht recht, wie ich mich ihnen gegenüber verhalten sollte. Mein Gastvater umarmte mich jedoch auf der Stelle und fing in schnellem amerikanischen Englisch an, mit mir zu reden. Gute Sache, dass ich im Englischunterricht nicht geschlafen habe.
Meine ersten Wochen waren sehr speziell. Jeden Tag erlebte ich etwas Neues und alles war sehr aufregend. Die Schule startete erst zwei Wochen nach meiner Ankunft, aber meine Gastschwestern nahmen mich überall hin mit und stellten mich ihren Freunden vor. So fand ich schon Freunde, bevor die Schule anfing.
An meinem ersten Schultag war ich sehr aufgeregt, denn ich wusste ja nicht, was mich da erwarten wird. Es war jedoch sehr lustig, weil mich immer wieder Leute ansprachen, die mich von Erzählungen meiner Gastschwestern her kannten, die ich aber noch nie gesehen hatte.
Der Schulalltag in den USA ist so unterschiedlich zu meinem gewohnten Alltag in der Schweiz. Bevor mein Schuljahr startete, traf ich mich mit meiner Schulcounselorin, um meinen Stundenplan zu besprechen. An meiner Schule kann man seine Fächer frei wählen. Ich entschied mich für ausgefallene Fächer, die es in der Schweiz nicht gibt. Eines davon ist Forensics, in welchem wir uns mit dem Aufklären von Kriminalfällen befassen.
Der Schultag beginnt um 7.40 Uhr mit dem Aufsagen der Pledge zur Amerikanischen Flagge. Zwischen den einzelnen Fächern haben wir jeweils ca. 5 min. Pausen, während denen wir das Klassenzimmer wechseln und eventuell zum “Kästchen” gehen können. Nach der vierten oder fünften Stunde haben wir eine halbe Stunde Mittagspause, die alle Schüler in der Mensa verbringen. Die Schule endet jeden Tag um 14.20 Uhr, mit den “after school announcements”, welche über den Lautsprecher in der ganzen Schule ausgerufen werden.
Die meisten Schüler sind in einem School Club oder machen einen Sport und bleiben daher länger an der Schule. In der Herbst-Sport-Season spielte ich Fussball und rannte Cross Country. Ich trat ausserdem dem Art Club der Schule bei, im Winter schwamm ich in unserem Schwimmteam und im Frühling probierte ich Softball aus, aber leider habe ich es nicht ins Schulteam geschafft und wechselte zu Track and Field. Ausserdem machte ich im Frühjahr bei unserem School Musical mit. Zu meiner Freude performten wir die New Richmond Version von High School Musical. Auch wenn wir am Anfang skeptisch gewesen sind, ob wir jemals mit dem Musical bühnenreif werden würden, wuchsen wir alle wie eine Familie zusammen und am Ende war die Performance ein grosser Erfolg.
Sport ist ein wichtiger Faktor im Leben der meisten High School Schüler an meiner Schule. Friday Night Football Games sind beliebt wie nichts anderes. Dabei feiert die Schule ihr Team mit einem Pep-really am Ende des Tages. Das heisst, dass alle Schüler in der Turnhalle zusammenkommen und sich jeweils nach Schulstufe formieren. Das einzige Ziel dieses Anlasses ist es, lauter zu schreien, als die anderen Schüler der einzelnen Stufen.
Das Spezielle hier ist, dass man immer den Stolz fürs eigene Land spürt. Vor jedem Sport Event wird die Nationalhymne gespielt. In der Schule sagen wir jeden Tag die Pledge zur Amerikanischen Flagge auf und im Herbst findet der Veterans Day statt, bei dem man den Amerikanischen Soldaten, die im Krieg dienten, gedenkt.
Was ich hier in Ohio wirklich vermisse, sind die Berge und die öffentlichen Verkehrsmittel. Denn jedes mal, wenn ich mit Freunden etwas unternehmen möchte, muss ich zuerst sicherstellen, dass mich jemand fahren kann.
Am Anfang habe ich immer gedacht, dass ich “grosse” Sachen erleben werde. Ich habe mich nicht richtig wie jemand gefühlt, der hier wohnt, sondern mehr wie eine Touristin, die in kurzer Zeit alles sehen muss, was es an Wichtigem zu sehen gibt. Inzwischen weiss ich jedoch, dass mir die “kleinen” Momente mehr bedeuten. Zum Beispiel, als ich das erste Mal mit einer Freundin ein “Sleepover” gehabt habe oder als ich mit meinen Gastschwestern spontan etwas unternommen habe.
Ich hatte allerdings auch schon “grosse” Momente. Zum Beispiel verbrachte ich mit meiner Gastfamilie ein langes Wochenende in einen Nationalpark. Dort unternahmen wir eine Cave Tour, bei welcher wir durch unterirdische Tunnels kraxeln mussten. Ich probiere möglichst viel Zeit mit meiner Gastfamilie, aber auch mit meinen Freunden zu verbringen.
Am Anfang hätte ich nicht gedacht, dass es bis nach Weihnachten dauern würde, bis ich mich in meinem neuen Zuhause richtig wohl fühle. Die letzten Monate waren die besten des ganzen Jahres. Meine Freundschaften wurden enger und mein Englisch hörte sich schon fast amerikanisch an.
Auch in der Schule ereigneten sich viele wichtige Dinge erst ganz zum Schluss des Jahres, mit dem Höhepunkt PROM-Night. Bevor wir zu unserer Prom-Location gingen, welche auf einem Boot war, traffen wir uns in einem nahegelegenen Park um Fotos zu machen. Danach fürhren wir alle zum Anlegeplatz des Bootes, auf welchem wir zu Abend assen. Die ganze Nacht verbrachte ich mit meinen Freunden und wir tanzeten bis wir nicht mehr konnten. Es war die beste Nacht meines Lebens und eine, die ich nie mehr vergessen werde.